Herr Schneider, wissen Sie, welche oder wie viele Einrichtungen gegen die DRV klagen?
Da es sich nicht um eine Verbands- oder Sammelklage handelt, sondern um Klagen einzelner Kliniken, kann ich nicht sagen, wie viele es genau sind. Aber ich weiß, dass seit Dezember 2023 Sozialgerichte im ganzen Bundesgebiet angerufen wurden, nach meinem Kenntnisstand bis Mitte Februar 2024 etwa zwei Dutzend. Zudem wurden Beschwerden bei der EU-Kommission eingereicht. Auch hier kenne ich nicht die genaue Zahl, sie dürfte aber ebenfalls zweistellig sein. Die EU-Beschwerden richten sich allerdings nicht gegen die DRV, sondern gegen den Gesetzgeber, die Bundesrepublik Deutschland.
Was genau ist Gegenstand der Klagen und Beschwerden?
Sie richten sich gegen die Ausgestaltung der sogenannten Verbindlichen Entscheidungen der DRV. In ihnen sollte die Rentenversicherung, so lautete der gesetzliche Auftrag, die Beschaffung von medizinischen Reha-Leistungen transparenter als bisher regeln. Das Vergütungskonzept sollte nachvollziehbarer und die selektive Einrichtungsauswahl durch die Rentenversicherung objektiver werden. Bei der Umsetzung dieses Auftrags sollte die DRV die Leistungserbringerverbände beteiligen, was jedoch nur unzureichend erfolgt ist und die Einwände der Verbände blieben in relevanten Punkten unberücksichtigt. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass zahlreiche Einzelregelungen der Verbindlichen Entscheidungen nicht rechtskonform sind. Dazu gehören Regelungen zum Belegungsvertrag, mit denen die Einrichtungen benachteiligt werden und Vergütungsvorgaben sowie allgemeine Belegungsvorgaben. Ein Rechtsgutachten hat im Sommer 2023 die einzelnen Punkte dargelegt und ausführlich begründet. Das ist jetzt Grundlage für die Einzelklagen und die EU-Beschwerden.
Wo bestehen denn Verstöße gegen das EU-Recht?
Ein Verstoß gegen das EU-Recht liegt vor, weil die Rentenversicherungsträger hoheitliche Funktionen wahrnehmen und zugleich auf dem Markt der Leistungserbringung tätig werden. Dadurch besteht eine latente Diskriminierungsgefahr für die Vertragseinrichtungen.
Die Beschwerde soll also dazu führen, dass die DRV keine trägereigenen Einrichtungen mehr betreibt?
Nein, das ist nicht gewollt. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass zum Beispiel privat betriebene Reha-Einrichtungen nur bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen zur Leistungserbringung zugelassen werden, während eigene Einrichtungen der Rentenversicherung automatisch als zugelassen gelten. Zudem besteht die Gefahr, dass die Rentenversicherung ihre eigenen Einrichtungen bevorzugt. Um eine Diskriminierung der Vertragseinrichtungen zu verhindern, ist deshalb notwendig, diese bei der Ausgestaltung der Verbindlichen Entscheidungen gleichberechtigt einzubeziehen. Dies ist, wie gesagt, nicht geschehen und dagegen wehren wir uns.
Wie hoch ist das Risiko, dass die DRV die klagenden Kliniken sanktionieren, also weniger belegen wird?
Das wäre eine fatale Entwicklung. Aber ich denke, dazu wird es nicht kommen und ich hoffe auch nicht, dass der Rechtsstreit zu einem Vertrauensbruch zwischen Kliniken und Rentenversicherungsträgern führt. Wir haben während der gesamten Entwicklungsphase der Verbindlichen Entscheidungen immer wieder versucht, in einem partnerschaftlichen Austausch mit der DRV zu sachlichen und ausgewogenen Ergebnissen zu kommen. Und auch das Rechtsgutachten sollte keine Drohung, sondern eine helfende Klarstellung sein. Leider ist die DRV darauf kaum eingegangen, deshalb blieb uns am Ende nur der Rechtsweg. Wir hoffen, dass damit auch für die Rentenversicherung Rechtssicherheit geschaffen wird.
Könnte das juristische Vorgehen dazu führen, dass dann die DRV zu Ausschreibungen verpflichtet wird?
Die Gefahr sehen wir nicht, denn die Intention der Verbindlichen Entscheidungen verstößt nicht gegen EU-Recht, da der Gesetzgeber ein diskriminierungsfreies Verfahren schaffen wollte. Dieser richtige Ansatz wird jedoch nicht konform umgesetzt, da die Leistungserbringerverbände lediglich ein Stellungnahmerecht erhalten und nicht gleichberechtigt mitentscheiden dürfen. Wir fordern nur die Diskriminierungsfreiheit ein und nicht, dass das ganze Gesetz gekippt wird. Das Rechtsgutachten macht klare Aussagen, die dafür sprechen, dass zu Gunsten der Kliniken und damit für eine bessere Versorgung der Patienten entschieden wird. Vermutlich wird es am Ende höchstrichterliche Entscheidungen geben, das kann durchaus Jahre dauern.
Der BDPK hat im März 2023 ein Rechtsgutachten zu den Verbindlichen Entscheidungen in Auftrag gegeben, das diese als rechtswidrig belegt.
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