„Schön wäre weniger Populismus“
Viele Fragezeichen für den BDPK
Die Empfehlung der Kommission wirft viele Fragen auf. Denn das Konstrukt löst viele Interessenskonflikte nicht auf und kann auch Versorgungsrealitäten nicht ad hoc ändern. Für eine echte Verzahnung der Krankenhausplanung muss das BMG die wichtigen Spieler ins Boot holen. Ein Beitrag von BDPK-Hauptgeschäftsführer Thomas Bublitz, erschienen im Fachmagazin f&w, Ausgabe 01/2023.
Sind die Empfehlungen der Reform-Kommission eine geeignete Grundlage für die Neustrukturierung der deutschen Krankenhauslandschaft und der Vergü-tung? Der Bundesgesundheitsminister ist davon sehr überzeugt und will die Vorschläge anscheinend weitgehend unverändert zu gesetzlichen Regelungen machen. Und nach seinem eigenen Bekunden wird er sich davon wegen des vermeintlich schädlichen Einflusses des Lobbyismus nicht abbringen lassen. Die Autoren des Papiers haben offenbar aber eine andere Intension und bezeichnen ihre Arbeit als Empfehlungen, nicht als fertige Lösung. Auch nach meinem Verständnis sind die Kommissionsempfehlungen als Grundlage für einen konstruktiven Dialog zu verstehen. Denn ohne Veränderungen und Ergänzungen werden sie die beabsichtigten Verbesserungen nicht erzielen. Vielmehr habe ich den Eindruck, als solle eine nennenswerte Zahl von Krankenhäusern geschlossen und das als qualitativer Gewinn für unsere Gesellschaft verkauft werden. Einige Ansatzpunkte für sinnvolle Effekte einer Krankenhausreform seien hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt:
► Unterfinanzierung bei den Betriebskosten: Diese führt mittlerweile bei mehr als 60 Prozent der Krankenhäuser zu negativen Jahresabschlüssen, viele sind insolvenzgefährdet. Daran haben übrigens die bisherigen Bundesregierungen erhebliche Mitschuld. Noch immer wird mit selbst- verständlicher Alltagsroutine politisch in die DRG-Finanzierung eingegriffen, zum Beispiel: Fixkostende- gressionsabschläge, normative Absenkung und Abstufung von DRGs mit hohen Sachkosten, Ausgliederung von Pflegepersonalkosten am Bett in separate Pflegebudgets, nicht ausreichende Kostenfortschreibung bei den Landesbasisfallwerten und mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz die Festlegung, dass sinkende Fallzahlen im Landesbasisfallwert nicht berücksichtigt werden. Zuletzt hat das Bundesgesundheitsministerium den Krankenhäusern 400 Millionen Euro aus dem DRG-Katalog gestrichen, um vermeintliche Doppelfinanzierung bei den Pflegebudgets für Personal zu verhindern. Den notwendigen Inflationsausgleich gibt es dagegen bisher nicht. Alle diese politischen Entscheidungen haben sicher nicht zur Entökonomisierung des Systems beigetragen, sondern verstärken den wirtschaftlichen Druck.
► Unterfinanzierung bei den Investitionskosten: Noch immer finanzieren die Bundesländer nur rund 50 Prozent der notwendigen Investitionen in eine nachhaltige Krankenhausstruktur. Daraus ergibt sich die Antwort auf die Frage, warum die Krankenhäuser Ge- winne machen müssen: Weil sie sonst die Kredite für Investitionen nicht zurückzahlen können, und das gilt für Krankenhäuser jeder Trägerschaft. Auch hier befindet sich der Ball im Feld der Politik. Aus diesem – staatlich verursachten – Dilemma der Unterfinanzierung kommen die Krankenhäuser nur heraus, wenn sie mehr Patienten behandeln. Diese Rechnung geht allerdings schon seit Jahren nicht mehr auf. Bundesweit betrachtet sinkt die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten und daran ändern auch anteilige Vorhaltebudgets nichts.
► Fallpauschalen: Den von Karl Lauterbach eingeführten DRGs wirft man vor, sie hätten zu Billigmedizin geführt. Das darf man nicht so stehen lassen: Die Qualität der medizinischen Versorgung und der medizinische Fortschritt haben sich während der DRG-Phase in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt. Diagnostik, bildgebende Befundung, minimalinvasive Chirurgie, Roboterunterstützung, Labortechnik, neue Arzneimittel- und Strahlentherapien, Senkung vermeidbarer Infektionen und Zwischenfälle, Spezialisierung und Zentrenbildung haben zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlungsqualität geführt. Profitiert haben Patienten durch höhere Überlebenschancen und eine verbesserte Lebensqualität.
► Qualitätsmängel: Experten zufolge werden zu viele Patienten in nicht dafür ausgestatteten Krankenhäusern behandelt. Aktuell hat dies gerade die AOK mit ihrem wissenschaftlichen Institut Wido nachgewiesen. Demnach werden zum Beispiel Herzinfarktpatienten in 93 Prozent aller Fälle in ein sachgerecht ausgestattetes Krankenhaus mit Herzkatheter-Messplatz ersteingewiesen. Es mag jeder Leser für sich beurteilen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Ergebnis ist.
► Fachkräftemangel: Infolge des demographischen Wandels aber auch einer sich verändernden Gesellschaftsstruktur sinkt die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in allen Branchen und auch im Krankenhaus. Zudem legen junge Menschen heute mehr Wert auf die „Work-Live-Balance“. Schon seit vielen Jahren suchen die Krankenhäuser händeringend neues Personal sogar im Ausland und entlassen es nicht! Daran wird die Reform nichts ändern. Fordernd ist im Übrigen auch der Schichtdienst an 365 Tagen im Jahr. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen den Schichtdienst als Verlust von Lebensqualität und wollen sehnlichst aus ihm heraus. Warum eigentlich schafft die Bundesregierung für die Schichtarbeit bei Polizei, Feuer- wehr, Rettungsdienst und Krankenhaus keine Steuererleichterungen?
► Bürokratie: Die Bürokratisierung hat mittlerweile ein abschreckendes Niveau erreicht. Mitarbeitende im ärztlichen und pflegerischen Dienst klagen darüber, dass sie rund 40 Prozent ihrer Arbeitszeit mit sinnlos erscheinender Dokumentation befasst sind, die anschließend in streitigen Auseinandersetzungen durch den Medizinischen Dienst überprüft werden. Bisher greifen weder die Reformkommission noch die Bundesregierung dieses Thema auf.
► Anspruchsdenken: Hinterfragen müssen wir auch unsere Rolle als Patientin und Patient im Krankenhaus: Viele von uns verhalten sich so, als wären sie im Luxushotel. Die Patienten tun gerade so, als sei es ein Geschenk, dass andere Menschen unsere maladen Körper pflegen und waschen dürfen. Von der Gewalt gegen Ärzte, Pflegekräfte und Rettungssanitäter ganz zu schweigen.
►Krankenhausschließungen: Möglicherweise haben wir zu viele Krankenhäuser und es müssen welche geschlossen oder in Ambulatorien umgewandelt werden. Wo aber soll geschlossen werden und wie differenzieren wir dabei zwischen Versorgung im ländlichen und urbanen Bereich? Dazu empfiehlt die Kommission, alle Krankenhäuser, die nicht mindestens sechs rund um die Uhr betreibbare Intensivbetten haben, in pflegerisch geleitete Beobachtungszentren umzuwandeln. Das wäre also die Perspektive für alle Krankenhäuser, die nicht mindestens 18 weitergebildete Intensivpflegekräfte nachweisen können. Gerade in ländlichen Räumen bestehen Zweifel an der Kooperation mit niedergelassenen Fachärzten, die es gerade dort häufig nicht mehr gibt. In welchen Zeiträumen muss man denken, wenn man Krankenhäuser an einigen Standorten schließt und die Kapazitäten an anderen Standorten aufbauen will? Welche Investitionen sind dafür notwendig und sind auch die Mitarbeiter:innen bereit, weitere Fahrten zur Arbeit zurückzulegen? Erleben sie in den neuen Strukturen größerer Krankenhäuser dann wirklich verbesserte Arbeitsbedingungen oder ist das Hamsterrad nur ein wenig größer? Welches Risiko bringt eine Reduzierung der Zahl der Krankenhäuser in Kombination mit der Vorhaltefinzierung für Wartezeiten auf notwendige Behandlungen?
Für die Phase der gesetzgeberischen Umsetzung wünsche ich mir eine aufrichtige Diskussion des Gesundheitsministeriums auch mit Interessenvertretern und den Bundesländern für eine sinnvolle Verzahnung mit der Krankenhausplanung. Schön wären außerdem weniger Narrative und weniger Populismus.