Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (VergRModG)

Stellungnahme vom 2. November 2015 zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz- VergRModG).

Mit dem Gesetz sollen die neue Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU) und die neue Richtlinie über die Vergabe von Konzessionen (Richtlinie 2014/23/EU) in nationales Recht umgesetzt werden.

Wir befürchten, dass formalisierte Ausschreibungsverfahren nicht geeignet sind, eine teils zeitkritische medizinisch bedarfsgerechte Versorgung der Patienten mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation im Einzelfall sicherstellen zu können. Werden bei besonders komplexen Erkrankungsbildern, wie zum Beispiel dem Schädel-Hirn-Trauma besondere Behandlungsmethoden von Spezialkliniken erforderlich, die zuvor nicht explizit ausgeschrieben wurden, verhindert die Ausschreibung eine medizinisch notwendige Versorgung. Wir empfehlen daher, von der Ausschreibung abzusehen. Wenn der Gesetzgeber jedoch Ausschreibungen auch für Gesundheitsdienstleistungen angewendet wissen möchte, ist zumindest ein Ausnahmetatbestand für dringend benötigte medizinische Leistungen, die zuvor nicht ausgeschrieben wurden, zu schaffen.

Der Gesetzentwurf geht über die EU-Richtlinien hinaus. Diese sehen für soziale Dienstleistungen lediglich vor, dass die Mitgliedstaaten einzelstaatliche Regelungen einführen, um sicherzustellen, dass die öffentlichen Auftraggeber die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer einhalten. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht in § 130 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) hingegen ein Vergabeverfahren vor. Öffentliche Auftraggeber können dabei jedoch zwischen dem offenen Verfahren, dem nicht offenen Verfahren, dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, dem wettbewerblichen Dialog und der Innovationspartnerschaft wählen.

Wir befürworten, dass öffentliche Auftraggeber die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer einhalten müssen. Insbesondere für die medizinische Rehabilitation sehen wir diese Grundsätze jedoch bereits in der bestehenden sozialrechtlichen Wettbewerbsordnung gewährleistet, so dass eine Regelung im (GWB) nicht notwendig ist. Auch sind negative Auswirkungen eines Vergabeverfahrens wie es § 130 GWB vorsieht für die medizinische Rehabilitation zu befürchten.

Änderungsvorschlag zu § 130 Absatz 1 GWB (Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen)

(1) Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU stehen öffentlichen Auftraggebern das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach ihrer Wahl zur Verfügung. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb steht nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. Die Vergabe von Aufträgen der Sozialversicherungsträger richtet sich nur nach diesem Gesetz, wenn die Wettbewerbsordnung in den Sozialgesetzbüchern nicht bereits die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer sicherstellt.

Begründung:
Die mit dem Gesetz verfolgten Ziele der Transparenz, Effizienz und des zielgerichteten Einsatzes von Versichertengeldern sind bereits in der sozialrechtlichen Wettbewerbsordnung sichergestellt. Eine erneute Regelung für das Sozialversicherungsrecht im GWB ist nicht notwendig und birgt die Gefahr widersprüchlicher und konkurrierender Einschätzungen und Zuständigkeiten. Darüber hinaus befürchten wir negative Auswirkungen für die Versorgung der Versicherten.

Die Ausschreibung von Reha-Leistungen

 …steht einer medizinisch notwendigen qualifizierte Patientenversorgung
entgegen, denn

  • eine im Einzelfall medizinisch erforderliche (Spezial)Klinik könnte durch den jeweiligen Rentenversicherungsträger nicht belegt werden, wenn sie nicht zuvor im Ausschreibungsverfahren ermittelt wurde.
  • die Zuweisung der Versicherten müsste vorrangig nach der im Rahmen der Ausschreibung festgelegten Auslastung und nicht nach dem Bedarf im Einzelfall getroffen werden.
  • die über die Ausschreibung vergebenen Leistungen müssen zwingend auch finanziert werden. Im sozialrechtlichen Dreieck werden dagegen die einzelnen Leistungen flexibel vorgehalten und nur im Bedarfsfall in Anspruch genommen und finanziert. Eine starr angewendeteAusschreibungspraxis kann so auch die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen.

 …gefährdet Selbstbestimmung und Eigenverantwortung (Empowerment) der Leistungsberechtigten, denn

  • die Auslastung von ausgeschriebenen Leistungen widerspricht dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten (§ 9 SGB IX) die entscheiden, wo sie welche für sie am besten geeignete Leistungen in Anspruch nehmen.

 …verhindert Innovationen durch die Leistungserbringer, denn

  • sie lassen nur die Erbringung zuvor definierter und ausgeschriebener Leistungen zu. Der Wettbewerbsrahmen des SGB IX ermöglicht dagegen ausreichend Spielraum, um neue Angebote zu entwickeln und den Reha-Trägern anzubieten. Diese können neue Angebote anhand feststehender, transparenter und für alle Bewerber gleichermaßen geltender Kriterien prüfen und die Ergebnisse der Auswahlentscheidung für jeden Marktteilnehmer transparent veröffentlichen.

Zeitlich befristete Vergabeentscheidungen gefährden die Versorgungsqualität, denn

  • qualifiziertes ärztliches oder therapeutisches Personal kann bei fehlender zeitlicher Perspektive nur schwer gewonnen oder gehalten werden. Es gibt einen Mangel an qualifizierten medizinischen Fachkräften. Befristete Arbeitsverträge sind nicht attraktiv für qualifizierte Bewerber.
  • die für die Rehabilitation notwendigen multiprofessionellen, interdisziplinären Strukturen (Rehabilitationsteam) würden in befristeten Zeiträumen nur unzureichend und mit Reibungsverlusten aufgebaut werden können.
  • die kontinuierliche Erfüllung der hohen Qualitäts- und Strukturanforderungen der Reha-Träger setzt erhebliche finanzielle Investitionen voraus, die nur mit der Aussicht auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit getätigt werden können.