Fachkrankenhäuser
Spezialisierung wird bestraft
Das vom Bundeskabinett beschlossene Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) gefährdet die Versorgung von Patient:innen in Fachkrankenhäusern. Dass dringend nachgebessert werden muss, zeigen zwei Beispiele.
Von Dr. Hans-Heinrich Aldag, Thomas Böer, Veronika Diepolder
Im Kern geht es bei der Krankenhausreform darum, dass nicht mehr jedes Krankenhaus jede Leistung anbieten soll. Stattdessen sollen sich die Kliniken spezialisieren und dadurch effizienter und kostengünstiger arbeiten. In Fachkrankenhäusern wird genau das gemacht, was die Krankenhausreform politisch motivieren will: mehr Spezialisierung, auch dadurch mehr Qualität – und das alles zumeist kostengünstiger als viele große Allgemeinversorger. Dennoch bekommen die Fachkrankenhäuser mit der anstehenden Krankenhausreform existenzbedrohende Probleme, denn die vorgesehenen starren und bundeseinheitlichen Strukturvorgaben von „verwandten Leistungsgruppen“ sowie einige fachärztliche Vorgaben sind in vielen Fällen nicht leistbar. Damit sind diese Spezialkliniken ebenso gefährdet wie die qualitätsvolle Versorgung der in ihnen behandelten Patienten.
Beispiel Diabetologie
In Deutschland sind derzeit nahezu neun Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt und täglich kommen rund 1.000 Neudiagnosen hinzu. Trotz der Fortschritte in der ambulanten Behandlung dieser Stoffwechselkrankheit bleibt die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung bestehen. Insbesondere spezialisierte Diabetes-Fachkliniken nehmen sich dieser Herausforderung an und erfüllen dabei die strengen Anforderungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Mit oft nur einer Leistungsgruppe gewährleisten diese Akutkrankenhäuser durch langjährige Kooperationen mit anderen medizinischen Fachbereichen eine umfassende Betreuung der Patienten – vor, während und nach der Behandlung.
Für diese Diabetes-Fachkliniken sollen mit der Krankenhausreform die Qualitätsvorgaben aus dem Krankenhausplan von Nordrhein-Westfalen gelten. Danach werden für die Leistungsgruppe Endokrinologie und Diabetologie mindestens drei Fachärzte, davon mindestens zwei mit Bezeichnung „Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie“ gefordert. Darüber hinaus müssen am Standort die Leistungsgruppen Allgemeine Chirurgie, Innere Medizin und Intensivmedizin vor- gehalten werden. Beides ist nicht nachvollziehbar. Zum Erhalt der seit Jahren bewährten effizienten Strukturen muss geregelt werden, dass die verwandten Leistungsgruppen am Standort auch in Kooperation zu erbringen sind. Wird dies nicht geregelt, droht ein Zusammenbruch der gesamten medizinischen diabetologischen Versorgung in Deutschland. Auch die fachärztlichen Anforderungen (mindestens zwei Fachärzte Innere Medizin und Endokrinologie) sind zu modifizieren. Sie sind erstens auf dem Markt nicht verfügbar und zweitens nicht notwendig, denn in Fachkliniken für Diabetologie und Stoffwechselerkrankungen kümmert sich ein spezialisiertes Team aus Diabetologen, Fachärzten und hoch qualifizierten Diabetes- und Ernährungsberater:innen um die Patienten.
Zusätzlich tragen die Diabetes-Fachkliniken wesentlich zur Aus- und Weiterbildung im Bereich Diabetologie und Endokrinologie bei, ein Bereich, in dem Universitätskliniken zunehmend weniger Angebote bereitstellen. Dies ist in Anbetracht einer Volkskrankheit eine sehr bedeutsame Aufgabe und muss bei den geforderten Qualitätskriterien zwingend Berücksichtigung finden. Insbesondere muss die Weiterbildung Diabetologe DDG in die Strukturmerkmale alternativ zum Facharzt Endokrinologie und Diabetologie aufgenommen werden, so wie dies seit Langem bei OPS-Ziffern wie der multimodalen Komplexbehandlung Diabetes mellitus oder im Rahmen der DMP-Diabetes-Programme als Zusatzweiterbildung „Diabetologie“ im niedergelassenen Bereich realisiert ist. Um auch in Zukunft eine hochwertige, flächendeckende und den Bedürfnissen entspre- chende Versorgung sicherzustellen, ist es entscheidend, dass die Fachkliniken eine verlässliche Zukunftsperspektive erhalten.
Beispiel Neurologische Frührehablitation
Die neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation (NNFR) kombiniert akut- und rehamedizinische Behandlungsbestandteile für schwerstbetroffene Patienten mit Erkrankungen oder Verletzungen des Nervensystems. Sie hat eine zentrale Rolle für die Weiterversorgung von Patientinnen und Patienten vor allem von Intensivstationen und Stroke- Units, die teilweise mit Beatmung und Trachealkanüle über Zeiträume von Wochen bis Monate akutmedizinisch und zugleich rehabilitationsmedizinisch behandelt werden. Nur mit dieser Versorgungsstruktur ist eine Optimierung der Liegezeiten in Akutversorgungseinrichtungen möglich. Durch die hohe Erfolgsquote insbesondere in der Entwöhnung von Beatmung und Trachealkanüle reduziert sie den Bedarf an außerklinischer Intensivpflege in erheblichem Umfang.
Da die NNFR der Phase B leistungsrechtlich eine Krankenhausbehandlung ist, findet sie – mit unterschiedlicher Ausprägung nach Bundesländern – sowohl in Fachabteilungen von ansonsten primär versorgenden Akutkrankenhäusern als auch in rein neurologischen Fachkliniken (häufig mit angegliederten Rehabilitationseinrichtungen der Phasen C und D) statt. In der Summe haben die Fachkliniken für NNFR sowohl einzeln als auch bundesweit deutlich größere Betten- und Fallzahlen als NNFR-Einheiten an den Akutkliniken. Für die beabsichtigten Änderungen im Rahmen des KHVVG ist relevant, dass die Fachkliniken aufgrund ihrer hohen Spezialisierung zwar in der Regel über eine umfangreiche Infrastruktur mit wesentlichen intensivmedizinischen Elementen verfügen, aber (auch zukünftig) häufig keine weiteren Leistungsgruppen über die Leistungsgruppe „Neuro-Frühreha (NNF, Phase B)“ hinaus aufweisen (werden). Die Kriterien dieser Leistungsgruppe aus dem „Reformvorlage-Land“ Nordrhein-Westfalen – eines der wenigen Bundesländer, in denen bisher die Variante „Fachabteilung in Akutklinik“ dominiert – würde bedeuten, dass die Leistungsgruppe „Neuro- Frühreha (NNF, Phase B)“ an das Vorhandensein der Leistungsgruppe „Intensivmedizin“ als Mindestkriterium am Standort gekoppelt ist. Dies ist inhaltlich nicht begründet, da sich diese Leistungsgruppe bezüglich ihrer Anforderungen an den Erfordernissen einer akutmedizinischen Intensivstation orientiert. Auch die geforderte verpflichtende Ausstattung mit CT oder MRT mag in großen Mehrabteilungshäusern kein Problem sein, ist aber in der Regel in den besonders spezialisierten Fachkliniken bisher schon ausgezeichnet in Kooperation organisiert.
Die entscheidenden Struktur- und Prozessqualitäten werden stattdessen in allen NNFR-Kliniken bisher über die strengen Kriterien spezieller OPS-Kodes für die besonderen akut- und rehamedizinischen Anforderungen detailliert überprüft und nachgewiesen wie sonst in kaum einem anderen Bereich. Die kombinierte Anwendung sowohl der geplanten Struktur- als auch der Fallzahlkriterien für die Leistungsgruppe „Intensivmedizin“ können bundesweit nur durch die wenigsten NNFR-Fachkliniken erfüllt werden. Erhebungen der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR) zeigen, dass bereits durch die Anwendung der Strukturkriterien der Leistungsgruppe „Intensivmedizin“ auf die NNFR-Einrichtungen bundesweit etwa 40 Prozent der Betten geschlossen werden müssten.
Prinzipiell ist das Bestreben nach einheitlichen Qualitätskriterien zu unterstützen. Doch die im KHVVG vorgesehenen undifferenzierten Vorgaben würde etwa die Hälfte der bundesweit bestehenden Fachkrankenhäuser nicht umsetzen können. Sie müssten vom Netz gehen, obwohl sie ihre Expertise bei der so dringend benötigten Versorgung schwer erkrankter Patienten tausendfach belegt haben.
Dr. Hans-Heinrich Aldag
Geschäftsführer WaldklinikJesteburg
Thomas Böer
Geschäftsführer DiabetesZentrumMergentheim
Veronika Diepolder
Mitglied der Geschäftsleitung m&i-KlinikgruppeEnzensberg