Pflegepersonalbemessung: Wirkungen sorgfältig prüfen
In diesem Jahr soll „übergangsweise“ die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Deutschen Pflegerat und der Gewerkschaft Verdi entwickelte Pflege-Personalregelung (PPR 2.0) angewendet werden. Ob die Regelung die mit ihr verbundenen Erwartungen erfüllt, hängt von mehreren Faktoren ab.
Mit der PPR 2.0 soll dem bestehenden Fachkräftemangel entgegengewirkt und die Situation in der Pflege verbessert werden. Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn die Wirkungen und das Verhältnis der PPR 2.0 zu anderen bestehenden Instrumenten Berücksichtigung finden. Zentrale Fragen sind: Was bedeutet die PPR 2.0 für das Pflegebudget und den Pflegepersonalquotienten? Was wird aus den Pflegepersonaluntergrenzen?
Grundsätzlich gilt: Es macht keinen Sinn hochaufwendige Instrumente nebeneinander zu betreiben. Das gilt insbesondere für die Pflegepersonaluntergrenzen, die mit Einführung der PPR 2.0 wegfallen müssen. Daran zeigt sich, dass es nicht nur um „Nebenwirkungen“ geht. Vielmehr entscheidet die Abstimmung aller Instrumente darüber, ob es mit der PPR 2.0 tatsächlich gelingen kann, die Pflege zu verbessern. Wenn die PPR 2.0 letztlich nur einen Personalbedarf ermittelt, der aber nicht gedeckt werden kann, führt dies zu Enttäuschung und Systemverdrossenheit – nicht nur bei den Pflegekräften. Die Definition von Personalbedarfen („Examinierte Pflege und Pflegehilfskräfte pro Krankenhaus“) wird den Fachkräftemangel jedenfalls nicht lösen, denn allein dadurch gibt es nicht mehr Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Schon jetzt hat jedes Krankenhaus offene Stellen in der Pflege.
Positive Wirkung würde die PPR 2.0 entfalten, wenn sie die Pflege sinnvoll entlastet und eine gute Krankenhausorganisation ermöglicht. Dazu ist es unbedingt notwendig, dass Hilfskräfte und weiteres therapeutisches Personal sinnvoll einsetzbar bleiben und auch in der PPR 2.0 anrechenbar sind. Damit würde ein patientengerechter und praxiserprobter Qualifikationsmix Berücksichtigung finden. Besonders deutlich wird das im Bereich der Spezialversorger, zum Beispiel in der Neurologischen Frührehabilitation, der Diabetologie oder der konservativen Orthopädie. Hier übernehmen therapeutische Spezialisten außerhalb der examinierten Pflege zumeist in festen Teams mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten oder Neuropsychologen pflegetherapeutische Anwendungen wie Waschtraining, Anziehtraining, Essensbegleitung, Vertikalisierung. Diese Berufsgruppen werden in der PPR 2.0 nach heutigem Stand nicht berücksichtigt. Hier muss vor der gesetzlichen Umsetzung dringend nachgebessert werden.
Nachbesserung ist auch bei einer zentralen Vorgabe der PPR 2.0 erforderlich: Krankenhäuser haben unterschiedliche Größen. Durchschnitts- oder Mittelwerte werden den Unterschieden nicht gerecht. Gerade wegen des Fachkräftemangels brauchen die Kliniken Spielräume, um die Patientenversorgung gut zu organisieren. Zudem sollte ihr Ansatz, die Verantwortung für die Personalallokation wieder zurück ins Krankenhaus zu geben, noch deutlich nachgeschärft werden. Diese Einschätzung wird auch aus medizinisch-fachlicher Sicht geteilt, wie die beiden folgenden Statements zeigen.
Prof. Dr. Bernd Kladny, Chefarzt der Abteilung Orthopädie m&i-Fachklinik Herzogenaurach:
Es ist gut, dass die Pflegepersonalregelung PPR 2.0 kurzfristig die überaus bürokratischen Pflegepersonaluntergrenzen ablösen soll. Ein Pretest der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Jahr 2019 zeigte, dass im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie die Minuten für den Pflegepersonaleinsatz circa 50 Prozent über dem Stand von 2019 und circa doppelt so hoch wie nach PpUG liegen. Pflegekräfte sind daher möglichst effektiv zu unterstützen. Hierzu müssen Hilfskräfte Berücksichtigung finden und bei pflegeentlastendem Einsatz Personal im medizinisch-technischen Dienst. Weiterhin haben Fachkliniken häufig Patienten mit einem niedrigen Pflegepersonalbedarf, dafür aber einem hohen therapeutischen Bedarf.
Der durch die Einführung der PPR 2.0 in Deutschland kalkulierte zusätzliche Bedarf an Zehn- oder gar Hunderttausenden Pflegekräften kann nicht gedeckt werden. In jedem Fall ist zu verhindern, dass eine quantitativ und qualitativ angemessene Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdet wird.
Ralf Hackbarth, Pflegedienstleiter und Prof. Dr. Dr. Martin Ebinger, Chefarzt der Abteilung Neurologie Medical Park Berlin Humboldtmühle:
Eine Personalbedarfsermittlung, wie sie in der Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) vorgesehen sind, können in einem abgestimmten Maßnahmenprogramm ein wichtiger Baustein zur Zukunftssicherung der medizinischen Versorgung in Deutschland sein. Sie geben unseren Patient:innen das Gefühl, stets genügend Pflegepersonal pro Klinikbett anzutreffen. Die meisten Pflegekräfte betonen ebenfalls, dass ihnen ein ausreichend starkes Team wichtiger ist als zum Beispiel die Bezahlung.
Was das PPR 2.0 hingegen nicht unmittelbar – und bedauerlicherweise auch wahrscheinlich nicht langfristig – bewirkt, ist ein Erscheinen von neuen Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt. Getestet wurde das PPR 2.0 nämlich vor allem in großen Kliniken. In kleineren Fachkliniken führt es zu einem deutlichen Personalmehrbedarf, der mangels vorhandener Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt voraussichtlich nicht gedeckt werden kann. Die Folge werden vermutlich Bettenschließungen sein.
Besonders enttäuschend ist, dass den besonderen Bedingungen von Fachkliniken in der Frührehabilitation, beispielsweise Neurologie Phase B, beim PPR 2.0 noch keine Rechnung getragen wird. In der Frührehabilitation liegt der Fokus ja nicht auf einer passiven Versorgung von auf Hilfe angewiesenen Patient:innen, sondern auf der Wiedererlangung eines selbstbestimmten Lebens. Dies wird durch ein Zusammenspiel aktivierender Pflege und den verschiedenen therapeutischen Disziplinen erreicht. Dies bei der Ausgestal- tung des PPR 2.0 zu berücksichtigen, wäre im Interesse unserer Patient:innen.