Stellungnahme zur Verordnung zur Änderung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung

Seit 2018 wird den Krankenhäusern eine Mindestpersonalausstattung in sogenannten „pflegesensitiven“ Bereichen vorgegeben. Mit den Pflegepersonaluntergrenzen sollen die Qualität der Pflege verbessert und das Personal entlastet werden.

Diese Ziele werden mit der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung nicht erreicht. Stattdessen erschweren die Vorgaben eine gute Versorgung:

Fachkräftemangel wird verschärft

In der Pflege besteht seit Jahren ein erheblicher Fachkräftemangel. Nahezu jedes Krankenhaus hat offene Stellen in der Pflege, die sich wegen fehlendem Personal auf dem Arbeitsmarkt nicht besetzen lassen. Pflegepersonaluntergrenzen helfen hier nicht, sondern verschärfen die Situation: Um eine Untergrenze einzuhalten, müssen Pflegekräfte in Bereichen eingesetzt, dokumentiert und nachgewiesen werden, in denen sie nicht benötigt werden. Dafür fehlen sie dann an anderer Stelle.

Zudem führen die Untergrenzen dazu, dass das Berufsbild der Pflege unattraktiv wird: Pflegekräfte sind wieder damit beschäftigt, Betten zu reinigen, Patiententransporte durchzuführen und Tätigkeiten der Küche zu erledigen. Dadurch konterkarieren die Untergrenzen eine über die Jahre sehr erfolgreiche Struktur des Skillmixes in der Pflege, unter anderem bestehend aus Pflegefachpersonen, Pflegehilfskräften sowie weiteren Gesundheitsfachberufen.

Mehr Bürokratie statt mehr Qualität

Die Untergrenzen bedeuten vor allem Zählen und Dokumentieren. Doch das bloße Zählen von Köpfen verbessert nicht die pflegerische Versorgung und entlastet auch nicht die Pflegekräfte. Dass die Untergrenzen nichts gebracht haben, bestätigen auch die Pflegekräfte selbst. Laut einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe bewerten zwei Drittel die Personaluntergrenzen als „keinesfalls hilfreich“[1]. Hauptkritikpunkt: zu viel Bürokratie.

Unsachgerechte Anrechnung von Pflegehilfskräften, Auszubildenden und weiteren Berufsgruppen

Pflegehilfskräfte und weitere Berufsgruppen, wie z. B. Physio- und Ergotherapeuten werden in den Pflegepersonaluntergrenzen nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl sie Pflegefachkräfte in ihrer Arbeit spürbar entlasten. Auch eine sachgerechte Anrechnung von Auszubildenden in den Pflegeberufen fehlt, obwohl diese den Kliniken im Rahmen der Ausbildungsfinanzierung mit einem Schlüssel vom 1:9,5 angerechnet werden. Die Anrechnung von Auszubildenden würde weitere Anreize zur Ausbildung in den Pflegeberufen setzen und entspräche auch den Erfahrungen der Praxis beim Einsatz der Auszubildenden. Diese sind ab einem bestimmten Ausbildungsgrad eine Entlastung und Hilfe auf den Stationen und sollten auch eine entsprechende Anerkennung bei den Pflegepersonaluntergrenzen erfahren. Sinnvoll wäre eine gestaffelte Anerkennung, z. B. 25 % im ersten Ausbildungsjahr, 50 % in zweiten Ausbildungsjahr und 75 % im dritten Ausbildungsjahr.

Beseitigung von gar nicht bestehenden Fehlanreizen

Befürworter der Pflegepersonaluntergrenzen betonen, diese seien wegen Fehlanreizen des DRG-Systems notwendig, denn es würde auf Kosten der Pflegekräfte gespart. Doch das Argument greift nicht: Spätestens seit der Rückkehr zur Selbstkostendeckung in der Pflege (Pflegebudget) werden Pflegekosten voll refinanziert und müssen genaustens dokumentiert werden. Es gibt keinerlei Anreize, an Pflegepersonal zu sparen.

Undifferenziert und schädlich für Spezialversorger

Besonders kritisch ist die Wirkung von Untergrenzen in speziellen Versorgungssituationen:

Beispiel Konservative Akut-Orthopädie: Die Orthopädie beinhaltet zwei grundlegend verschiedene Versorgungsformen: die operative Orthopädie und die konservative (nicht-operative) Orthopädie. Bei der Behandlung im Rahmen der konservativen Orthopädie z. B. multimodalen Komplexverfahren am Bewegungssystem, stehen nicht-operative Therapieverfahren wie z. B. Physiotherapie und Schmerztherapie, d. h. die direkte Verabreichung von Schmerzmedikamenten im Vordergrund. Die Patient:innen sind mobil und können sich mehrheitlich selbst versorgen. Für beide Bereiche gelten derzeit die Pflegepersonaluntergrenzen der allgemeinen Chirurgie. Der Referentenentwurf sieht ab dem Jahr 2022 für den Bereich der Orthopädie eine eigene Untergrenze vor. Es muss bei den Vorgaben unbedingt differenziert werden. Patient:innen der konservativen Akut-Orthopädie benötigen im Gegensatz zur operativen Orthopädie deutlich weniger pflegerische Betreuung.

Beispiel Neurologische Frührehabilitation und Stroke Units: Der einseitige Bezug auf Pflege wird der wesentlichen Bedeutung von interdisziplinären Pflege- und Therapeutenteams sowohl auf Stroke Units als auch auf Abteilungen der Neurologischen Frührehabilitation nicht gerecht. In der Neurologischen Frührehabilitation haben Leistungen der therapeutisch-aktivierenden Pflege einen großen Anteil. Diese werden von therapeutischen Spezialisten außerhalb der Pflege übernommen, wie z. B. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Sprachtherapeuten. Pflegepersonaluntergrenzen sind hier zu eindimensional und gefährden etablierte Versorgungskonzepte.

Beispiel Diabetologie: Auch im Bereich der Diabetologie zeigt sich im Vergleich zu anderen internistischen Einheiten ein erhöhter Bedarf an Fachpersonal neben der examinierten Pflege. Die Patient:innen benötigen ein spezialisiertes Team von Fachärzten sowie qualifizierten Diabetes- und Ernährungsberatern z. B. zur individuellen Blutzuckereinstellung. Die undifferenzierte Anwendung der Pflegepersonaluntergrenzen aus dem Bereich der inneren Medizin ist hier nicht sinnvoll.

Beispiel Gynäkologie und Geburtshilfe: Eine undifferenzierte Anwendung derselben Pflegepersonaluntergrenzen auf die beiden Bereiche Gynäkologie und Geburtshilfe ist aufgrund völlig unterschiedlicher Patientenstrukturen, Pflegekonzepte und Versorgungsformen nicht sachgerecht. Im Bereich der Gynäkologie wird eine hohe Fallzahl onkologischer Patient:innen behandelt, die einen deutlich höheren Pflegebedarf aufweisen als Mütter mit gesunden Neugeborenen in der Geburtshilfe.

Übergangsfristen notwendig

Die Anpassung der Pflegepersonaluntergrenzen und die Einführung weiterer Pflegepersonaluntergrenzen nur knapp vier Monate vor deren Inkrafttreten überfordert Krankenhäuser, die erstmals von Untergrenzen betroffen sind. Muss eine Klinik zur Erfüllung der Untergrenzen Personal aufbauen, so ist dies zeitlich und organisatorisch kaum zu leisten, denn der Recruiting- und Besetzungsprozess für Pflegefachkräfte dauert im Durchschnitt bis zu sechs Monate. Kann zur Erfüllung der Untergrenzen notwendiges Personal nicht gefunden werden, bliebe in letzter Konsequenz eine Reduktion der Bettenkapazitäten. Insbesondere bei der Einführung neuer Pflegepersonaluntergrenzen müssen Übergangsvorschriften für die Häuser vorgesehen werden, die Untergrenzen erstmalig erfüllen müssen.

Den vollständigen Wortlaut der Stellungnahme lesen Sie hier.

[1]https://www.dbfk.de/media/docs/download/Allgemein/Bericht-Umfrage-Pflegepersonaluntergrenzen-2020-05-19.pdf