In einer „Brücken-Woche“ sind die Patient:innen zwar physisch wieder zu Hause, bleiben aber dank digitaler Technik virtuell noch in der Klinik und setzen wesentliche Reha-Inhalte fort. So können sie die Reha alltagsnäher in den eigenen vier Wänden abschließen. Eigene Hürden werden mitunter jetzt noch einmal sichtbar und können unterstützend adressiert werden. Der Übergang kann so besser gelingen und der Reha-Erfolg nachhaltig verbessert werden – so die Annahme des Konzeptes. Ob Patient:innen, Kostenträger sowie die Reha-Einrichtungen davon profitieren, soll in wissenschaftlichen Studien überprüft werden.
Aufbau und Inhalt der Hybrid-Reha
Vor ihrer Anreise erhalten bestimmte Patient:innen bereits mit den Einladungsunterlagen zu ihrer Reha eine separate Broschüre, in der die Hybrid-Reha detailliert vorgestellt wird. So können sie in Ruhe überlegen, ob sie die volle Reha-Zeit in der Klinik bleiben oder an einer Hybrid-Reha teilnehmen möchten. Ihre Teilnahmebereitschaft können sie über das digitale Patienten-Portal der Klinik vor der Anreise oder innerhalb der ersten Reha-Woche in der Klinik mitteilen.
Patient:innen, die ihre Teilnahmebereitschaft erklärt haben und alle persönlichen Voraussetzungen erfüllen, werden in der Klinik in einer eigenen Gruppe zusammengeführt. Sie erhalten eine Einführung in die Hybrid-Reha, technische Erklärungen und lernen die Hybrid-Gruppe kennen. Die Hybrid-Reha erfüllt alle DRV-Vorgaben bezüglich Behandlungsumfang und -vielfalt. Die Zuordnung der therapeutischen Leistungen nach stationärer und digitaler Phase richtet sich allerdings danach, zu welchem Setting (Klinik oder Zuhause) die Intervention besser passt. Insbesondere in der Brückenwoche setzen sich die Patient:innen mit dem Transfer in den konkret erlebten Alltag auseinander und erhalten Unterstützung von Klinikteam und Mitpatient:innen. Die Gruppen-Teilnehmer:innen reisen alle am selben Tag (donnerstags) ab und beginnen am Tag danach (freitags) gemeinsam mit der Brücken-Woche.
Die digitale Reha-Woche findet auf einer durch Passwort geschützten Online-Plattform statt. Hier stehen den Teilnehmenden Videos und Anleitungen zu Eigen-Übungen zur Verfügung, z. B. zur Achtsamkeit oder Zeitmanagement. Außerdem gibt es verschiedene Entspannungs-Podcasts, die zum Teil von der Klinik selbst produziert wurden.
Therapie-Angebote in Echtzeit sind z. B. per Videoplattform durchgeführte psychotherapeutische Gruppen- und Einzelgespräche sowie bestimmte Angebote aus der Sozialberatung und Ergotherapie. Außerdem live sind die Begrüßung, das Abschlussgespräch sowie der tägliche Früh-Sport. Viele Inhalte der Brücken-Woche stehen den Patient:innen noch für drei Monate nach der Reha in ihrem Online-Bereich zur Verfügung.
Rahmen und Machbarkeitsstudie
Während der Brücken-Woche zu Hause befinden sich die Patient:innen formal weiterhin in der Reha-Maßnahme. Das bedeutet, dass sie nicht arbeiten gehen und auch keine Krankschreibung benötigen. Für die Präsenz-/Live-Termine besteht eine Anwesenheitspflicht. Fehlt ein:e Teilnehmer:in unentschuldigt, kommt die Klinik ihrer Fürsorgepflicht nach und nimmt telefonisch Kontakt auf, um sicherzustellen, dass es der Person gutgeht.
Das Konzept der Hybrid-Reha klingt naheliegend und überzeugend, doch eine Umsetzung in die Reha-Praxis ist komplex. Bevor eine solche Idee in der Breite angewendet werden kann, muss die praktische Machbarkeit auf den Prüfstand gestellt werden und untersucht werden, welche medizinischen und persönlichen Wirkungen es gibt. So können Risiken und Fehlentwicklungen ausgeschlossen und Konzept-Korrekturen vorgenommen werden.
Eine erste Machbarkeitsstudie zur Hybrid-Reha startete Ende 2021 in der Dr. Becker Klinikgruppe. In der Burg-Klinik in Dermbach, Thüringens größter psychosomatischer Fachklinik, wurden Patient:innen mit Erkrankungen aus dem Formenkreis Depression, depressive Verstimmung, Erschöpfung oder Ess- und Persönlichkeitsstörungen in die Studie eingeschlossen. Zu den persönlichen Voraussetzungen für die Teilnahme gehört, dass die Patient:innen zwischen 18 und 60 Jahre alt sind, wegen einer psychosomatischen Erkrankung behandelt werden, einen Internetanschluss und ein digitales Endgerät (Smartphone, Tablet oder Laptop) besitzen und über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Die Entscheidung für die Hybrid-Reha in der Studie ist nicht verpflichtend und die Teilnahme kann jederzeit widerrufen werden.
Finanziert wird die Studie von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck. Über knapp zwei Jahre wurden qualitative und quantitative Daten zur Machbarkeit und Akzeptanz der Hybrid-Reha erhoben. Es wurden Interviews mit Teilnehmenden und Fokusgruppen mit dem klinischen Personal durchgeführt. Zudem wurden die Teilnehmenden zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Reha-Prozess (Beginn und Ende der Rehabilitation sowie nach sechs Monaten) schriftlich zu ihrem Gesundheitszustand befragt. Die Daten liefern erste Hinweise zur Entwicklung gesundheits- und erwerbsbezogener Parameter sechs Monate nach Abschluss einer Hybrid-Reha, unter anderem Depressivität, berufliche Belastungen, Teilhabe, Lebensqualität. Nach dem Studienende im Dezember 2024 wird der Abschlussbericht mit allen Ergebnissen und Auswertungen im ersten Quartal 2025 vorliegen. Die Ergebnisse werden zudem auf dem 34. Reha-Kolloquium im März 2025 in Nürnberg vorgestellt. Ab Januar 2025 schließt die Evaluationsstudie „HypeR-ME“ an, die die Wirksamkeit und den Nutzen der Hybrid-Reha im Vergleich zur herkömmlichen Rehabilitation überprüfen soll. In einer Überbrückungsphase zwischen den beiden Studien lief die Hybrid-Reha an der Dr. Becker Burg-Klinik auch ohne wissenschaftliche Begleitung weiter.
Bedeutsame und deutliche Benefits
Erste wissenschaftliche Auswertungen der Machbarkeitsstudie sowie die Erfahrungen der Dr. Becker Burg-Klinik nach der fast dreijährigen Testphase sind positiv. In Befragungen gaben über 90 Prozent der Patient:innen an, dass sie die Reha wieder so machen würden. Für sie liegt u. a. ein Vorteil der Hybrid-Reha offensichtlich darin, dass ihnen ein „sanftes Ankommen“ und die Eingewöhnung in die Alltagsabläufe zu Hause ermöglicht wird. Zudem ist die Hybrid-Reha besonders für Patient:innen geeignet, die frühzeitig wieder bei ihrer Familie sein möchten oder die aus anderen Gründen nicht lange von zu Hause fernbleiben können. Als weiterer Pluspunkt wird gesehen, dass Unterlagen, die sich zu Hause befinden, mit dem/ der Sozialarbeiter:in besprochen werden können. Außerdem können Videoinhalte zeitlich flexibel genutzt und beispielsweise Entspannungsübungen abends vor dem Schlafengehen gemacht werden.
Auch von der Klinik, den beteiligten Mitarbeitenden und der Klinikgruppe ist das Feedback sehr positiv. Es werden deutliche Verbesserungen des Reha-Erfolgs erwartet und man sieht sich als Klinik-Gruppe als einer der Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Die Ergebnisse der Studie werden Ende 2027 erwartet.