Arzneimittel: Reha-Einrichtung ist kein Vollversorger

Wer die Kosten für Arzneimittel chronisch Kranker während der Reha übernehmen muss, ist seit Langem umstritten. Ein Urteil sorgt nun für Klarheit. In der f&w-Ausgabe April 2025 schreibt Dr. Christoph Renz, Fachanwalt für Medizinrecht VOELKER & Partner ausführlich über die eindeutig klare Rechtslage.

Rentenversicherungsträger vertreten regelmäßig die Auffassung, dass die Reha-Einrichtung während der medizinischen Rehabilitation alle Arzneimittel zur Verfügung stellen muss. Ihrer Ansicht nach dürfen die Patientinnen und Patienten vorher verordnete und abgegebene Arzneimittel für chronische Erkrankungen nicht in die Reha-Einrichtung mitbringen. Geht das Arzneimittel während der medizinischen Rehabilitation zur Neige, darf ein Vertragsarzt es nicht zulasten der GKV neu verordnen. Die Kosten für das Arzneimittel sollen demnach zulasten des Reha-Betreibers gehen und über den Vergütungssatz der DRV abgegolten sein. Seit dem 19. Dezember vergangenen Jahres ist jedoch ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen rechtskräftig, das dieser Einschätzung zuwiderläuft.

Bereits einige Jahre zuvor hatte sich das LSG Sachsen mit dem Thema befasst. Dabei ging es um die Frage, ob ein Vertragsarzt während einer medizinischen Rehabilitation die Dauermedikationen für eine chronische Begleiterkrankung ausstellen darf. Bei seinem Urteil am 13. März 2019 zog das LSG einen Vergleich zur Krankenhausbehandlung: Im Krankenhausrecht gilt das sogenannte Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung. Demnach muss das Krankenhaus während der stationären Behandlung die vollständige medizinische Versorgung des Patienten sicherstellen. Deshalb müsse das Krankenhaus dem Patienten auch die Arzneimittel zur Verfügung stellen, die dieser zur Behandlung seiner chronischen Erkrankung benötigt.

Das LSG Sachsen vertrat dabei die Auffassung: Bei der medizinischen Rehabilitation handele es sich – so wie bei der Krankenhausbehandlung – um eine Komplexleistung. Daher bestehe auch hier ein grundsätzliches Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung. Demzufolge müssen Reha-Einrichtungen den Patienten auch solche Arzneimittel zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um ein rehabilitationsunabhängiges Leiden weiterzubehandeln. Ein Vertragsarzt dürfe einem Patienten, der sich in einer Reha-Einrichtung befindet, keine Arzneimittel verordnen. Wer dagegen verstoße, müsse einen Regress befürchten.

Reha-Klinik nicht mit Krankenhaus vergleichbar

Die Argumente des LSG Sachsen überzeugen jedoch nicht: Der Vergleich mit der Krankenhausbehandlung ist nicht stichhaltig. Für Krankenhäuser gilt der Grundsatz der Vollversorgung aus einer Hand. Das Krankenhaus muss daher alle medizinischen Leistungen erbringen, die im Einzelfall für eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung notwendig sind. Demgegenüber erbringen Reha-Einrichtungen nur Leistungen der medizinischen Rehabilitation für bestimmte Indikationen – also nur soweit die jeweilige Zulassung der Einrichtung reicht (§ 15 Abs. 4 SGB VI). Eine Reha-Einrichtung bietet keine medizinische Vollversorgung an und ist daher (rechtlich) nicht mit einem Krankenhaus vergleichbar. Mit anderen Worten: Eine Reha-Einrichtung erbringt nur Reha-Leistungen. Letztendlich handelte es sich bei den Ausführungen des LSG Sachsen zudem um ein sogenanntes obiter dictum – also um Rechtsausführungen, die für die Entscheidung keine tragende Rolle spielen.

Mehr als vier Jahre nach dem Urteil aus Sachsen befasste sich das LSG Niedersachsen-Bremen (L 12 R 89/20) mit der Frage, wer die Kosten für Arzneimittel für chronische Erkrankungen während der medizinischen Reha übernehmen muss. Vor dem LSG Niedersachsen-Bremen stritten ein Träger der Rentenversicherung und eine Krankenkasse. Dabei ging es um die Frage, wer die Kosten für das Arzneimittel Sandostatin zur Behandlung einer Überproduktion von Wachstumshormonen (Akromegalie) während der Reha übernehmen muss. Der Patient leidet seit seiner Jugend an einer endokrinologischen Erkrankung und benötigt dauerhaft Sandostatin. Nach einer Hüft-TEP befand sich der Patient in stationärer Rehabilitation. Vor seinem Reha-Aufenthalt erhielt er von einem Vertragsarzt eine Verordnung über Sandostatin, die er wenig später in einer Apotheke einlöste. Der Patient brachte das Arzneimittel in die Reha-Einrichtung mit und nahm es während der Rehabilitation ein. Die Krankenkasse verlangte nun von der Rentenversicherung, diese solle die Kosten für das Sandostatin erstatten. Die Reha-Einrichtung hätte das Arzneimittel auf eigene Kosten selbst beschaffen und den Patienten damit versorgen müssen, so die Kasse. Eine Mitnahme vertragsärztlich verordneter Arzneimittel sei den Patienten nicht gestattet.

Analogie zu Krankenhausrecht nicht möglich

Das LSG Niedersachsen-Bremen entschied hingegen, dass eine Reha-Einrichtung nur die Versorgung mit denjenigen Arzneimitteln sicherstellen muss, die das Reha-Ziel fördern. Alle anderen Arzneimittel sind von anderen Kostenträgern zu übernehmen. Denn der Versicherte hat gegenüber seinem Rentenversicherungsträger (nur) einen Anspruch auf medizinische Rehabilitation (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in Verbindung mit § 42 bis 47a SGB IX). Zu diesem Leistungsanspruch gehören auch Arzneimittel – jedoch nur solche, die für die Rehabilitation eingenommen werden müssen. Es handelt sich also lediglich um diejenigen Arzneimittel, die sich auf das Rehabilitationsleiden beziehen oder die im Zusammenhang mit dem Rehabilitationskonzept stehen. Bei der Einnahme von Sandostatin zur Behandlung von Akromegalie parallel zur Reha nach einer Hüft-TEP gab es einen solchen Zusammenhang nicht.

Das Gericht stellte klar: Eine Analogie zum Krankenhausrecht, wie sie das LSG Sachsen vorgenommen hatte, ist rechtlich nicht möglich. Das SGB VI enthalte keine Regelung, die eine vertragsärztliche Parallelbehandlung ausschließe und die Reha-Einrichtung zur umfassenden medizinischen Leistungserbringung verpflichte. Vor dem Bundessozialgericht wurde die gegen das Urteil erhobene Revision am 19. Dezember vergangenen Jahres zurückgenommen (B 5 R 15/23 R). Seitdem ist das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen rechtskräftig.

Auch Hilfs- und Heilmittel betroffen

Für Reha-Betreiber folgt aus dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen: Ein Patient darf die Medikamente für seine chronische Begleiterkrankung in die Reha-Einrichtung mitbringen. Ist eine Folgeverordnung erforderlich, darf ein Vertragsarzt diese zulasten der GKV ausstellen.

Die Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen ließe sich auch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln (beispielsweise Hilfsmittel zur Katheter- oder Stoma-Versorgung) oder Heilmitteln (beispielsweise Physiotherapie oder Ergotherapie) übertragen, wenn diese Leistungen nicht mit dem in der Reha therapierten Heilbehandlungsleiden im Zusammenhang stehen. Vonseiten der GKV und der Deutschen Rentenversicherung kursieren Merkblätter und Schreiben, die das Gegenteil behaupten. Dieser Rechtsauffassung von DRV und GKV kann man nun unter Verweis auf das rechtskräftige Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen entgegengetreten.

Dr. Christoph Renz, Fachanwalt für Medizinrecht VOELKER & Partner
Quelle: f&w - führen und wirtschaften im Krankenhaus, April 2025